Dienstag, 26. April 2016

"Die Schuldigen sind wir, die wir billige Lebensmittel haben wollen"

• 50 Jahre Vogelbeobachtung im Isenhagener Land
• Jürgen Rohdes Bilanz fällt beängstigend aus
• Buch "Wo sind all die Vögel hin?" jetzt erhältlich

Das mit Vogelfotos von Franz Zäpernick reich illustrierte
Buch kann für 9,90 Euro direkt bei Calluna bestellt werden.
Mehr als die Hälfte der heimischen Vogelarten stehen auf der Roten Liste und der sogenannten Vorwarnliste des Landes Niedersachsen. Nur etwa 44 Prozent der Arten gelten als ungefährdet. Besonders schlecht sieht die Situation der Wiesenvögel und anderer in der Agrarlandschaft heimischer Arten aus.
„Beängstigend“ nennt Jürgen Rohde diese Entwicklung. Mit ambitioniertem ornitholgischem Interesse hat der Hankensbütteler Gymnasiallehrer im Ruhestand ein halbes Jahrhundert lang im Isenhagener Land Vögel beobachtet. Seine wertvollen Aufzeichnungen, die jetzt in Buchform vorliegen, geben einen einzigartigen Einblick in die Vogelwelt dieser Region und ermöglichen Aussagen zur Artenvielfalt.
Obwohl es auch einiges Erfreuliches zu vermelden gibt – vor allem bei Kranichen und verschiedenen Greifvogelarten haben sich die Bestandszahlen positiv entwickelt –, fällt Rohdes Bilanz insgesamt ernüchternd aus, erschreckt geradezu. Zahlreiche Arten sind verschwunden, und vor allem in der Feldmark ist das Vogelkonzert weitgehend verstummt, sodass die Frage im Raum steht: „Wo sind all die Vögel hin?“ Und so lautet auch der Titel des im Calluna-Verlag Gifhorn-Oerrel-Uelzen erschienenen und mit zahlreichen Vogelfotos des Naturfotografen Franz Zäpernick illustrierten Buches.
Hobby-Ornithologe und
Buchautor Jürgen Rohde.
Foto: Inka Lykka Korth
Das Elend fängt schon gleich vor der Haustür in Hankensbüttel an. »Gelbspötter, Girlitz, Fitis, den Grauen Fliegen- und den Trauerschnäpper: Sie alle hatten wir als Brutvögel in unserem Garten, sie sind alle weg«, sagt Rohde. Wenn er in Gedanken weiter geht, hin ins Schweimker Moor, wird es nicht besser. »Ein Brodeln war das dort, nicht ein Birkhahn hat gebalzt, sondern viele.« Und heute? »Herrscht da Totenstille.« Der letzte Birkhahn sei 1983 gesichtet worden, ein ausgewildertes Tier. Der Versuch, die seltenen Vögel wieder anzusiedeln, ist gescheitert.
Für die Birkhühner und viele andere Vogelarten kommt jede Hilfe zu spät, aber noch ist nicht alles verloren. Das Ise-Projekt der Aktion Fischotterschutz ist für Rohde ein gelungenes Beispiel. Wiesen wurden aus der intensiven Bewirtschaftung herausgenommen, Bagger rückten an, um an der Ise und ihren Nebengewässern die geraden Linien zu durchbrechen und natürliche Profile mit Schleifen zu schaffen. Es sah schrecklich aus, nachdem sie abgerückt waren. »Ich war sehr skeptisch«, sagt Rohde, »aber heute bin ich begeistert.« Die Wunden sind geheilt, die Natur hat sich das verlorene Terrain zurückerobert, die Spuren der Fischotter stehen für eine Erfolgsgeschichte. Ebenso das Verbot des Insektenvernichtungsmittels DDT, das in Afrika noch immer versprüht wird. Als Nebenwirkung des Giftes legten die Greifvögel nur noch Eier mit hauchdünner Schale, die schon beim Brüten zerbrach. Seit DDT verboten ist, haben sich die Greifvogelbestände erholt. Dafür sind umso mehr andere Vögel verschwunden.
Über manche Ursachen kann Rohde nur spekulieren, manche liegen auf der Hand: Wiesen wurden trockengelegt, Bäume gefällt, Hecken niedergemacht, Lebensräume zerrissen. In Deutschland, aber auch in den Überwinterungsgebieten vieler Vogelarten in Afrika machen sich die Folgen der Klimaveränderung zerstörerisch bemerkbar. Sahara und Sahelzone breiten sich aus und werden zur unüberwindbaren Durststrecke, ehemals fruchtbare Regionen im Südosten Afrikas verdorren, weil der Regen ausbleibt. »Im Frühjahr ist es selbst bei uns so trocken, dass jetzt oft schon im April mit der Beregnung begonnen wird«, sagt Rohde. Da bekommen die Lerchen auf den Feldern den ersten kalten Guss. »Die Küken überleben das nicht.« Und wenn doch, dann folgen als nächstes die Güllefahrzeuge und dann erneute Beregnung im Mai. Rohde wundert sich, dass es überhaupt noch ein paar Lerchen gibt. Die Landschaft verändert sich rasant. Windräder drehen sich auf einstmals freien Flächen, ihre Rotoren massakrieren Greif- und Singvögel. Auf den Feldern bestimmt der Maisanbau das Bild. Moderne Landwirtschaft und Vogelschutz passen nicht zusammen. »Aber man darf nicht die Landwirte zu den Schuldigen machen«, betont Rohde, »die Schuldigen sind wir, die wir billige Lebensmittel haben wollen.«
»Wenn ein Vogel wegfällt, so reißt das ein Loch. Es zeigt, dass unsere Umwelt nicht in Ordnung ist, und wir sind ein Teil dieser Umwelt«, sagt Rohde. Schutzmaßnahmen hier und in den Überwinterungsgebieten der Zugvögel könnten die Abwärtsspirale vielleicht noch stoppen. Dazu eine Landwirtschaft, deren Wertschöpfung sich nicht allein in Ernteerträgen bemisst. Wenn die Menschen doch nur erst einmal merken würden, dass etwas fehlt. Jürgen Rohdes Aufzeichnungen, wenngleich sie auch nicht streng wissenschaftlich sind, belegen, wie eine nach der anderen Vogelart verschwindet, nicht nur gefühlt, sondern wirklich. Deshalb das Buch. »Wo sind all die Vögel hin«, das ist eine Frage, die zugleich anklagen und aufrütteln will.

Das 76 Seiten starke Buch im Bildbandformat (ISBN 978-3-944946-06-1) kann für 9,90 Euro über den Buchhandel bezogen oder direkt beim Verlag bestellt werden (Telefon 0 58 32/97 98 40, E-Mail buchshop(at)calluna-medien.de). Die Lieferung erfolgt versandkostenfrei auf Rechnung.